Die Heilpädagogin der Stiftung bat mich zu klären, ob wir von der Schweiz aus eine Familie, die neu in die Stiftung aufgenommen wurde, unterstützen können. Von den vier Kindern haben die beiden Mädchen eine Lernbehinderung, der eine Sohn leichten Autismus und der jüngste das Down-Syndrom. Also mache ich mich am Gründonnerstag mit der zuständigen Sozialarbeiterin auf, um die Familie kennenzulernen.

Sie wohnt im Süden der Stadt, auf einem Grundstück, das der Familie der Mutter gehört, 45 Auto-Minuten von der Zentrale der Stiftung entfernt.  Dort lebt die sechsköpfige Familie in einem Zimmer von ca. 16 Quadratmetern aus Holzbrettern und Wellblechdach. Drei Betten stehen nebeneinander, wo die 6 schlafen. Zwischen den Betten und den Gestellen, wo ihre Kleider und anderen Dinge verstaut sind, bleibt kein Platz für weitere Möbel. Neben diesem Zimmer befindet sich das Zimmer der Grosseltern und gegenüber wohnt ein Bruder der Mutter mit Familie in einem Backsteinhaus, das schon fast luxuriös wirkt im Vergleich. Eine auf den ersten Blick gut ausgestattete Küche und ein Bad teilt sich die Familie mit ihren Angehörigen, die auf dem gleichen Grundstück leben.

Als die Sozialarbeiterin am Gartentor erscheint, rennen drei Kinder und ein Hund eilig zur Begrüssung herbei. Die Kinder gehen normalerweise nachmittags zur Schule (in Santa Cruz gehen die Kinder entweder immer morgens oder immer nachmittags zur Schule), aber weil morgen Karfreitag ist, haben sie für heute auch gleich noch frei bekommen.

Die vier Kinder der Familie sind zwischen 3 und 10 Jahren alt. Die älteste wiederholt gerade das 3. Schuljahr in einer Schule im Quartier und ist eigentlich ganz froh darüber, weil die neue Lehrerin viel geduldiger und netter sei. Ausserdem komme sie jetzt gut mit im Unterricht und gehe nun auch wieder gern zur Schule. Sie zeigt mir stolz ihre Schulhefte, wo sie fein säuberlich einiges an Schulstoff von der Tafel abgeschrieben hat – wie das hier halt so gemacht wird…

Der zweitälteste ist seit diesem Jahr in einer Sonderschule. Schon nach kurzer Zeit an der neuen Schule (das Schuljahr begann im Februar) beobachten die Eltern gute Lernfortschritte, er kenne jetzt die Buchstaben und Zahlen, vorher an der Regelschule habe er alles verwechselt und sei immer wieder aus dem Unterricht abgehauen oder habe den Unterricht gestört. Seine jetzige Klasse bestehe aus 5 Kindern mit Autismus und die Lehrerin sei spezialisiert. Mit dem ÖV dauert eine Fahrt dorthin 75 Minuten. Das Elternteil, das den Jungen jeweils hinbringt, muss dann die 3.5 Stunden Unterricht abwarten und ihn danach wieder mit dem Bus nachhause bringen. Immerhin ist die Schule staatlich und somit kostenlos für die Eltern, auch die Schulmaterialien seien weniger teuer als an der Schule der älteren Tochter. Die Schule helfe aktuell beim Antrag für einen Invaliditätsausweis, damit er einen kleinen staatlichen Zuschuss bekommt und der Sonderschulplatz gesichert ist.

Die jüngere Tochter ist derzeit im Kindergarten und es läuft eine Abklärung bezüglich Lernbehinderung, die gemäss der Heilpädagogin mit hoher Wahrscheinlichkeit bestätigt werden wird.

Der jüngste kann mit seinen 3 Jahren noch nicht laufen oder sprechen, aktuell bleibt er noch bei den Eltern zuhause, auch er wird später voraussichtlich eine Sonderschule besuchen. Inklusiver Unterricht ist bei Klassen von 40 bis 50 SchülerInnen, wie es an den Regelschulen normal ist, nicht möglich und eine Privatschule, an der die Eltern für das sonderpädagogische Personal selbst bezahlen müsste, ist sowieso viel zu teuer.

Die Kinder brauchen mit ihren speziellen Bedürfnissen viel Aufmerksamkeit, was die Eltern wiederum in ihren Erwerbsmöglichkeiten einschränkt. Sie arbeiten beide als Reinigungskräfte ohne feste Stelle. Aktuell stelle sowieso in diesem Bereich niemand jemanden für über drei Monate ein, sonst müsste der Arbeitgeber sich um Sozialleistungen kümmern. Also arbeitet der Vater mal da mal da, je nach dem, wer ihm gerade einen Job für den Tag anbietet, hauptsächlich in Privathaushalten. Er komme i.d.R. auf ca. 4 Arbeitstage pro Woche, pro Arbeitstag verdiene er umgerechnet ca. CHF 17. Sozialleistungen gibt’s keine. Manchmal erhalte er auch Aufträge in der Gartenpflege.

Die Mutter verkauft von zuhause aus Vollkorn-Teigtaschen und Brot, das meiste auf Bestellung. Ihr Bruder unterrichte Zumba und helfe beim Verkauf – die Zumba-Klientel sei eine gute Abnehmerschaft für die Vollkorn-Produkte. Damit verdiene sie an guten Tagen ca. CHF 15.

So wie diese Familie lebt, leben viele der rund 700 Familien der Stiftung Niño Feliz – es reicht zum Überleben, für mehr ist das Geld schnell einmal zu knapp. Nur dass diese Familie mit den verschiedenen Einschränkungen ihrer Kinder noch vor zusätzliche Herausforderungen gestellt wird. Für die beiden Söhne erhält die Familie ein bisschen staatliche Unterstützung, was aber nicht viel mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein darstellt.

Sobald unvorhergesehene Kosten anfallen, sind die Eltern auf den guten Willen anderer angewiesen. So bräuchten die drei älteren Kinder Brillen, da sie alle schielen. Kostenpunkt: CHF 85 pro Brille. Die Hälfte kann die Stiftung beisteuern. Die CHF 130, für die die Eltern selbst aufkommen sollten, sind etwa ein Viertel der gesamten monatlichen Einkünfte der Eltern. Wir werden da sicher eine Lösung finden…

Erst vor kurzem wurde die Familie in die Stiftung aufgenommen. Der jüngste Sohn ist im Milchpulver-Programm der Stiftung. Er erhält dadurch monatlich eine grosse Dose Milchpulver, sein Wachstum wird im medizinischen Zentrum monatlich kontrolliert und die Mutter nimmt an Informationsveranstaltungen der Stiftung teil.

Dem älteren Sohn durfte ich heute mitteilen, dass er ab sofort einen Ausbildungspaten aus der Schweiz hat – da ein Freund meiner Mutter spontan seine Unterstützung zugesagt hat. Für die älteste Tochter suchen wir nun auch noch Paten. Wie weit sie mit ihrer Lernbehinderung im öffentlichen Schulsystem kommen wird, steht noch in den Sternen, aber mit der Unterstützung der Stiftung erhöhen sich Chancen, dass sie sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten gut auf das Erwachsenenleben vorbereiten kann. Ausserdem wird die Familie durch die Übernahme der Schulmaterialien durch die Patenschaft finanziell stark entlastet.

Das grosse Highlight des heutigen Besuches ist, dass ich dem Zweiältesten einen gebrauchen Schulsack mit Turnsäckli und Etui aus der Schweiz mitbringen kann, den mir eine Freundin mitgegeben hat. Die Reaktion: «Woooow, ein Dinosaurier!!!». Der Junge war ganz aus dem Häuschen. An dem Schulsack wird er sicher noch lange Freude haben!!!

Mich persönlich erfüllt es immer wieder mit grosser Freude, wenn ich als Brückenbauerin zwischen meinen beiden Heimatländern vermitteln darf. Ich bin immer wieder gerührt, wie hilfsbereit die Menschen sind, wenn sie von den Herausforderungen der Familien, die wir durch Niño Feliz unterstützen, erfahren.

In diesem Sinne ein grosses Merci einmal mehr an alle unseren treuen Patinnen und Paten, Spender und Spenderinnen! Die Unterstützung kommt an und macht einen Unterschied im Leben dieser Kinder, gibt ihnen eine Chance und eine Perspektive.

Santa Cruz de la Sierra, 6. April 2023, Kathrin Büschi